Ateliergespräch & Ausstellung Folge 2

Wagnisse

Am 12. Oktober 2021 fand der 2. Teil unserer Veranstaltungsreihe „Ateliergespräch & Ausstellung“ im Prenzlauer Berg statt. Für 2 Wochen verwandelte sich das Büro in der Greifenhagener 13 wieder in ein Atelier in dem die Künstlerin Miray Seramet ihre Werkschau zeigte: Gretchen in der Stube Teil I und Teil II und ihre Blüten. An diesem Abend drehte sich alles um Wagnisse! Zum Ateliergespräch luden wir die Schriftstellerin und Podcasterin Alexandra Tobor und Autorin Mithu Sanyal ein. Leider wurde Mithu am Abend unverhofft verhindert, sodass wir erst einen Abend später ins Gespräch kamen. Unser Gespräch möchten wir noch mit folgenden Zitatfetzen ergänzen, um den Gedanken – die im Nachgang kreisten – etwas mehr Raum zu geben.

…es ein ganz normaler Prozess, den fast alle durchgehen…es wird erst problematisch und schmerzlich, wenn Migrantion dazu kommt…

Mithu Sanyal

…das bewusste Ablegen von einem erlernten und in meinen Augen veralterten Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit, ist verbunden mit dem schmerzlichen Distanzieren vom Polnischen und von meinen Eltern. Dies muss nicht zwingend sein, das ist mir bewusst, aber das Gefühl ist trotzdem da….

Sylwia, Zwischen den Polen

Auf die Begegnung mit Mithu Sanyal war ich gespannt, weil sie in Bezug auf ihre eigene Erfahrung Sätze formuliert wie „Ich habe eine Minus-Kultur“ und „Ich habe keine Geschichte“. Wie es ist, als Kulturwissenschaftlerin gemischter Herkunft zu sein und „mixed-race“ als Thema aufzubereiten? Über diese Frage wollte ich mit ihr sprechen. Während ihr Buch „Identitti“ aktuell in aller Munde ist, interessieren wir uns als Zwischen den Polen auch gleich dafür, was dies mit der Aufmerksamkeit für ihr „Auch-Polnischsein“ mache. Sie erhalte jetzt auch Anfragen von Gesprächspartnern aus Polen und sei gerührt, fände das schön, gleichzeitig sei dies neu, irgendwie aufregend und erstaunlich: die Menschen interessieren sich für diese Herkunftslinie „einfach so, ohne weiteres“. Mithu Sanyal, denke ich sogleich, ist unvoreingenommen und offen für Begegnungen. Und ich erzähle ihr von einem Satz aus meiner Kindheit, der mir am Abend zuvor im Ateliergespräch eingefallen war: „Katharina schreibt wie ein Buch.“ Den Satz hatte der kleine Bruder meiner Freundin formuliert und bis heute erinnert er mich daran, wie sehr ich mich dafür geschämt habe, wie fremdartikuliert zu klingen, so als erzählte ich nicht meine eigene Geschichte und so als würde ich vor allem mein Bemüht-Sein ausdrücken. Mithu aber vertiefte diesen Satz gar nicht weiter in seinen Migrationszusammenhängen. Sie entgegnete mir: „Wie schön! Vielleicht hat der kleine Bruder erkannt, dass du gut umschreiben kannst, in Bildern.“ Es wagen, einen Schritt weiter zu gehen – das ist es, was ich von Miray Seramets Kunst und der Begegnung mit Mithu Sanyal mitnehme.

Katharina, Zwischen den Polen

„Die Quelle meines Schreibens ist Scham. Mit jeder Geschichte, die ich erzähle, steige ich mit einer Fackel in den dunklen Keller verdrängter Demütigungen hinab. Ich habe verstanden, dass Scham, genau wie Angst, nur durch offenbarendes Erzählen transformiert werden kann. Das Erzählen vernichtet die schwierigen Gefühle nicht, aber es überführt den Schmerz in die Möglichkeit von etwas Neuem. Das ist ein organischer Prozess, an dessen Ende eine ganz andere, neue Geschichte stehen kann, die die alte ersetzt. Aber man kann den Keller nicht überspringen. Migrationsgeschichten zu erzählen stellt für mich daher keinen Makel, sondern eine Notwendigkeit dar. Ich möchte alle Aspekte unserer Herkunft, die uns unheimlich sind und von denen wir uns angestrengt distanzieren (Religion, Geschlechterverhältnisse, Erziehung etc.) in meinem Horrorkabinett willkommen heißen. Monster sind Grenzwächter. Nur, wer sich auf lange Gespräche mit ihnen einlässt, kommt auf die andere Seite.“

Alexandra

Ich mag es, mit diesen Frauen zusammen nach den eigenen Wahrheiten zu suchen. Uns umgibt die innere Zerrissenheit und gleichzeitige Sehnsucht nach mehr Verbundenheit. Ich weiß ein kleines Stück mehr, ob mein Frausein und Polnischsein miteinander verwoben sind.

Joanna, Zwischen den Polen

Ateliergespräch & Ausstellung Folge 3 könnt ihr hier sehen.

Ateliergespräch & Ausstellung Folge 1 könnt ihr hier ansehen.

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